Moorbesiedlung: Aufstreckflur
Im ausgehenden Mittelalter wuchs die Bevölkerung in den Marsch- und Geestdörfern erheblich. Die Altdörfer konnten die Menschen nicht mehr unterbringen und ernähren. Nicht fern von den Altdörfern wurden vom Rande des Moores neue Siedlungen ins Moor hinein geschaffen, mit allen Gerechtigkeiten. Diese Siedlungen entlehnten ihren Namen häufig ihrer Altsiedlung. Meist wurde ein Grundstück mit einer Breite von 60 - 100 m eingemessen. Nach hinten konnte im Verlauf der Jahre so viel Land hinzugewonnen (aufgestreckt) werden, wie bearbeitet werden konnte. Torf wurde nur für den Eigenbedarf und nicht planmässig abgebaut.
Stieß man während des Aufstreckens an ein Hindernis, wie z. B. einen Flußlauf oder die Aufstreckflur eines Nachbardorfes, endete das Aufstrecksrecht. Auf diese Weise verzahnten sich die Fluren der Neusiedlungen in typischer Weise, wie sie noch heutzutage sichtbar sind. Ostfriesland kam 1744 zu Preußen. Friedrich II. lehnte das uralte Aufstreckrecht ab, weil die Bauern Land beanspruchten, das in keinem Verhältnis zur Größe ihrer Höfe stand. Am 22. Juni 1765 erließ er ein Urbarmachungsedikt, dabei wurden die Heidflächen und Moore, so denn die Gemeinden keine Ansprüche nachweisen konnten, zu Staatsbesitz erklärt.
Fehnkultur
Papenburg
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1630
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Großefehn
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1633
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Lübbertsfehn
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1637
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Hüllenerfehn
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1639
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Boekzetelerfehn
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1647
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Jheringsfehn
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1660
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Neuefehn
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1660
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Stikelkamperfehn
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1660
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Warsingsfehn
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1736
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Spetzerfehn
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1746
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Westrhauderfehn
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1769
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Ostrhauderfehn
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1769
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Rhaudermoor
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1769
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Ihlowerfehn
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1780
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Berumerfehn
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1795
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Nordgeorgsfehn
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1825
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Südgeorgsfehn
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1825
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Holterfehn
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1829
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Elisabethfehn
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1856
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Idafehn
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1860
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Im Jahre 1633 entstand in Ostfriesland ein neues Siedlungskonzept. Auslösende Ursache war die in Folge des 30-jährigen Krieges einsetzende Verteuerung des Brennstoffes Torf, der gewöhnlich aus dem niederländischen Oldambt oder dem Saterland eingeführt wurde. Deswegen besann man sich auf die Möglichkeit, den Torf aus den heimischen ostfriesischen Mooren zu gewinnen. Durch einen planmäßigen Abbau des ostfriesischen Torfes sollte der Brennstoffbedarf der zur damaligen Zeit bedeutenden See- und Handelsstadt Emden gedeckt werden. Zeitgleich kam in Ostfriesland der noch heute häufig vorzufindende Stil des aus Backsteinen erbauten bäuerlichen Gulfhauses in Mode. Auch viele Straßen wurden mit Backsteinen befestigt. Der Brennstoff für die den Backstein produzierenden Ziegeleien mußte ebenfalls bereitgestellt werden. Die Emdener Kaufleute Simon Thebes, Claas Behrends, Cornelius de Rekener und Gerd Lammers erwarben im Jahre 1633 von Graf Ullrich II. 400 Diemat Moorland östlich von Timmel in Erbpacht. Damit verbunden war das Recht, den Torf abzubauen und zu verwerten, sowie die Pflicht, das abgetorfte Leegmoor zu kultivieren.
Vom Rand des Moores wurde ein Kanal hin zu einem natürlichen Gewässer gegraben, im Beispiel Großefehn zu dem Flüßchen (Tief) Flumm. Tagelöhner wurden für diese schwere Arbeit gedungen. Dieser Kanal wurde dann weiter ins Moor vorgetrieben. Darüber wurde das Hochmoor entwässert. Der bei den Erschließungsarbeiten anfallende Torf wurde getrocknet und über den Kanal mit Torfschiffen nach Emden gebracht und verkauft.
Längs dieses Kanals wurden danach Siedlungswillige auf etwa 4-5 Hektar großen Grundstücken als Untererbpächter angesiedelt. Dabei wurden, wie schon aus der Aufstreckflur bekannt, Grundstücksstreifen, meist 60 - 80m breit, ausgemessen. Die Siedler sollten die Moorflächen ihres Grundstückes abtorfen und das erhaltene Leegmoor urbar machen. Um den nährstoffarmen Boden zu verbessern, wurden Grassoden und Sand untergemischt. Die Torfschiffe, die zuvor den Torf zur Stadt transportiert hatten, brachten Schlick aus der Emsmündung mit aufs Moor, um den kargen Boden zu düngen.
Die Siedler auf den Fehnen hatten ein schweres Leben. Die kleinen Parzellen ernährten kaum eine Familie. Viele Fehntjer versuchten, durch einen Nebenerwerb zu Geld zu kommen. Manche wurden Schiffer und verdienten sich etwas Geld durch den Torftransport, andere wurden Handwerker. Hier und da entstanden kleine Schiffswerften, auf denen die Torfschiffe, “Tortfmuttjes”, gebaut wurden. Später wurden auch Schiffe gebaut, die für die Küstenschiffahrt und auch für die Große Fahrt tauglich waren. Im 19. Jahrhundert, der Blütezeit der Segelschiffe, fuhren Fehntjer Kapitäne auf allen Weltmeeren.
Im Laufe der Jahre entstanden etliche Fehnsiedlungen (siehe Tabelle), die Methode der Besiedlung war in allen Fehnsiedlungen gleich.
Moorbrandkultur
Ab 1717 wurde versucht, das Hochmoor direkt, also ohne Anlage eines Fehnkanals, zu nutzen. Häufig ging die Initiative von erblosen Söhnen der Bauern aus den benachbarten Geestdörfern aus, die sich im Moor ein geeignetes Grundstück suchten, um sich dort niederzulassen Später wurden diese ersten Moorsiedlungen planmässig erweitert, bzw. völlig neu geplant und gegründet. Links und rechts eines geradlinigen Erschließungsweges wurden kleine Landstellen eingemessen und an Siedlungswillige in Erbpacht vergeben. Die ersten sechs Jahre war die Siedlungsstelle von Abgaben befreit, danach mußte Erbpachtzins gezahlt werden. Die Kolonisten wohnten in armseligen Hütten aus Holz und Torfsoden, häufig nur in einem Raum, in dem auch noch das Kleinvieh untergebracht war. In der Breite des Grundstückes wurden im Sommer auf dem Hochmoor eine Reihe von etwa spatentiefen Rillen gegraben, durch die das Moor in den oberen Schichten entwässert wurde. Im Herbst, nachdem der Boden etwas abgetrocknet und fest war, wurde der Boden aufgehackt. Danach ließ man den Boden über Winter liegen. Das Durchfrieren sorgte für eine weitere Trocknung.
Im Frühjahr wurde der Boden zur Lockerung ein weiteres Mal aufgehackt. Anfang Mai, inzwischen war die obere Torfschicht vollkommen trocken, streuten die Kolonisten glühenden Torf mit Hilfe von Schaufeln und eisernen Pfannen über den Acker. Der trockene Torf fing an zu brennen und innerhalb von etwa zwei bis drei Tagen war das Moor bis zur feuchten Sohle durchgebrannt. Der bei diesen Aktionen entstehende Rauch soll bis nach Süddeutschland geweht sein. In die noch warme Asche säte man Buchweizensamen, ein schnellwachsendes, eiweißreiches Knöterichgewächs, kein Getreide, wie der Name eigentlich vermuten läßt. Danach wurde der Acker geeggt und mit schweren Planken oberflächlich verdichtet. Der schnell wachsende Buchweizen war meistens nach drei Monaten reif zur Ernte. Etwa 4 - 6 Jahre konnte man auf diesen Äckern Buchweizen anbauen, dann war der Boden wegen Kaliummangels für diese Pflanze nicht mehr geeignet. Nun war noch für ein bis zwei Jahre ein Hafer- oder Roggenanbau möglich, danach war der Boden dermaßen ausgelaugt, daß er für die nächsten 30 Jahre brach liegen mußte. Der Buchweizen war äußerst frostempfindlich. Wenn während der Blüte Bodenfrost auftrat, und das konnte bis Mitte Juni der Fall sein, waren große Teile der Saat zerstört und mußten nachgesät werden. Das war natürlich sehr teuer und traf die Kolonisten besonders hart. Gelegentlich ging auch die gesamte Ernte verloren, das war für die ärmlichen Kolonisten eine Katastrophe.
Aus dem Buchweizenmehl wurden Pfannkuchen gebacken, “Boekweiten Schubbers”, oder Buchweizenbrei gekocht. Gelegentlich diente der Buchweizen auch als Viehfutter.
Weil keine Fehnkanäle angelegt worden waren, konnte Torf als Handelsgut nicht verwandt werden. Lediglich für den Eigenbedarf wurde Torf gestochen.
Eine Mannschaft (Ploog) bestand aus 4 oder 5 Torfstechern. Nachdem die lockerste obere Torfschicht, die Bunkerde, abgebaut worden war, stach der auf der Moorkante stehende Mann mit dem “Sticker” den Torf senkrecht in gleichmässige Stücke, breit wie ein Mauerziegel. Der im Graben (Pütt) stehende Mann trennte mit einem speziellen Spaten, dem “Tweekrieger” zwei dieser Stücke horizontal aus ihrem Bett und legte diese auf dem Moor ab. Die 3. Kraft, häufig auch die Frau des Besitzers, nahm die Stücke mit einer speziellen Gabel, der “Setfork”, auf und stapelte sie auf die Torfkarre. War die Karre voll beladen, fuhr der “Kröder” die Karre zum für das Trocknen vorgesehene Moorfeld und legte den Torf in langen Reihen ab.
War der Torf außen abgetrocknet, wurden die Stücke durch die Arbeit vieler fleißiger Hände zu “Stuken” aufgestellt. Über zwei am Boden in einem gewissen Abstand parallel ausgelegte Torfstücke wurden die nächsten Beiden ebenso, jedoch um 90° gedreht, darauf abgelegt. In diesem Sinne wurden kleine Türme von etwa 50 - 60 cm Höhe errichtet, durch deren offenen Seiten der Wind gut hindurchstreichen konnte und so den Torf bis ins Innerste trocknete.
Wenn die Torfsoden vollständig getrocknet waren, wurden sie in Mieten, den “Torfbülten”, auf dem Hochmoor abgelagert.
Von dort wurde der Brenntorf dann bei Bedarf ins Haus geholt.
Hochmoorkultur
Weder die Fehnkultur, noch die Moorbrandkultur konnte letztendlich die Bedürfnisse der Menschen in Ostfriesland stillen. Zwischen 1850 und 1900 war die Not groß in diesem Land.. Mangel an billigem Land, Geld und Nahrungsmitteln bedrückte Ostfriesland. Dazu kam ein enormer Kinderreichtum, der die Situation der Familien zusätzlich belastete. Das junge Amerika bot den Verzweifelten eine lockende Perspektive. So kam es, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Tausende von Ostfriesen nach Amerika auswanderten. Diese Auswanderungswelle ebbte erst ab, als auch in der Heimat neue Wege begangen wurden. Während der Hannoverschen Regierungszeit zwischen 1815 und 1866 wurde seitens der Landesherrschaft recht wenig für den Aufbau stabiler Lebensverhältnisse in Ostfriesland getan. Erst nach 1866, als Ostfriesland wieder preußisch war, änderte sich die Situation. Eine “Kommission zur Hebung der Zustände in den Moorkolonien Ostfrieslands sowie zur besseren Nutzbarmachung der fiskalischen Moore” wurde eingesetzt. Nach einer Bestandsaufnahme und Analyse der früheren Fehler wurde 1876 eine Zentral-Moorkommission eingesetzt. Diese griff später auf die in einer Bremer Versuchsstation entwickelte “Deutsche Hochmoorkultur” zu. Diese Kulturmethode verzichtete auf das Moorbrennen und den Buchweizenanbau, ebenso wie auf das in den Fehnkulturen übliche Abtorfen. Das Hochmoor wurde aber, wie bei der Fehnkultur, gründlich entwässert. Nach dem Bau des Ems-Jade-Kanals (1880-1888) kam diese Methode in der Moorkolonie Marcardsmoor zur Erprobung. Der Moorboden wurde gepflügt, geeggt oder gehackt. Um die Moorsäure zu binden, kalkte man den Boden. Als Dünger wurde der seit kurzem verfügbare Kunstdünger eingesetzt: Kainit, Thomasmehl und Chilesalpeter. Später wurde auch tierischer Dung verwendet. Das Land blieb im Besitz des Staates und wurde auf 10 Jahre verpachtet. Die Moorverwaltung gab den Kulturplan an, wie z. B. Fruchtfolge und Düngung. Nach zehn Jahren konnte das Land dann erworben werden. Danach war der Kolonist frei in seinen Entscheidungen bezüglich Nutzung und Anbau seines Kolonates. Ursprünglich sollte laut einer Fehleinschätzung der Generalmoorkommission 90% des Koloniefläche als Ackerland genutzt werden. Um diese Flächen ackerbaulich zu bestellen waren viele Arbeitskräfte nötig - mehr, als eine Kolonistenfamilie vorhalten konnte. Deshalb wurden während der Weltkriege Kriegsgefangene als Arbeitskräfte eingesetzt. Zwischen den Kriegen wurden Arbeitskräfte aus Polen eingesetzt. All diese Arbeitskräfte erhielten nur geringen Lohn - regulären Lohn hätten die Kolonisten auch nicht zahlen können. Darüberhinaus war das Land für Ackerbau auch nicht besonders geeignet, wohl aber als Dauergrünland. So wird es auch heute noch als Weideland und für die Futtergewinnung genutzt.
Torfindustrie
Mit den herkömmlichen handwerklichen Torfabbaumethoden war der Brennstoffbedarf des Torfkraftwerks nicht zu decken. Nach der Entwässerung des Moores fuhren riesige Bagger über das Moor und der Torf wurde im Tagebau, ähnlich wie bei der Braunkohle, abgebaut, verdichtet und über einen Ausleger auf dem Hochmoor in langen Strängen zum Trocknen abgelegt. Nach dem Ablegen schnitten nachlaufende Messer den Torfstrang in etwa 30 cm lange Stücke. Wind und Sonne trockneten den Torf. Das Wenden der Stücke, notwendig um eine gleichmässige Trocknung zu erziehlen, geschah erst weiter in mühseliger Handarbeit. Später übernahmen Maschinen diese Arbeit.
Der Personalbedarf des Kraftwerks war für die Bevölkerung Voßbargs, des Auricher Wiesmoor II und weiterer umliegender Dörfer ein Segen. Hier konnten die Menschen verhältnismäßig gut bezahlte Arbeit finden. Zusammen mit der oft im Nebenerwerb betriebenen Landwirtschaft kam bald einige Kaufkraft zusammen und Wiesmoor entwickelte sich in relativ kurzer Zeit zu einem blühenden Ort mit Mittelpunktcharakter für die umliegenden Orte.
Auch nachdem das Torfkraftwerk Mitte der 60er Jahre wegen zunehmender Unrentabilität einem Gasturbinenkraftwerk weichen mußte, blieb der industrielle Torfabbau aktiv. Verschiedene Kleinunternehmer fahren mit ihren Baggern zum Hochmoor von Privatpersonen und baggern den für den Hausbrand notwendigen Torf. Auch dieser wird in hergebrachter Weise getrocknet und weiterverarbeitet.
Ein weiteres wichtiges Standbein ist heute auch die Gewinnung von Streutorf, der für den Einsatz in Gärtnereien oder Hausgärten mit Dünger versetzt und verkauft wird.
Umweltschützer lehnen den Einsatz von Düngetorf und Torfstreu jedoch ab, stattdessen soll ihrer Meinung nach Rindenmulch verwandt werden und die Restmoorflächen sollten für den Naturschutz erhalten bleiben.
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